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Veröffentlicht: 11.07.2020
Autor: Hans Honold

POLARCODE TRAINING

 

Spitzbergen | Svalbard "Die IMO und der Polar Code"

 

Nach mehr­jäh­ri­gen Ver­hand­lun­gen trat zum 01. Januar 2017 der Polar Code (eigentlich International Code for Ships Operating in Polar Waters) in Kraft. Er gilt für alle SOLAS Schiffe, die im Geltungsbereich des Polar Codes fahren. Dabei wird das Ziel verfolgt, die in den Polarmeeren betriebenen Schiffe sicherer zu machen und gleichzeitig den Umweltschutz in arktischen Regionen zu erhöhen. Der Polar Code ist eine ‚goal based‘ Regulierung. Dadurch ist bei der Umsetzung in den Reedereien ein hoher Teil Verantwortung und beachtlicher Aufwand gefordert. Reeder müssen für ihre Schiffe, basierend auf dem ‚risk assessment‘ und ‚operational assessment‘ ausreichende Eignung des Schiffes, der Anlagen und der Ausrüstung für das Fahrtgebiet und Saison nachweisen sowie die Besatzung und andere Personen an Bord entsprechend trainieren. Für die Überwachung der Vorschriften sind die Anrainerstaaten verantwortlich, wobei Norwegen mit 80 Prozent des arktischen Schiffsverkehrs eine zentrale Rolle im Umgang mit Kontrollpflichten und Sanktionen zukommt.

Die Vorgaben

So schreibt der Polar Code für Schiffsbesatzungen beispielsweise verpflichtend vor, sich im Vorfeld mit der geplanten Route, dem Umgang mit tiefen Temperaturen und Packeis, raschen Wetterumschwüngen, starken Winden und Perioden längerer Dunkelheit und Helligkeit vertraut zu machen. Gleichzeitig verlangt der Einsatz in arktischen Regionen die proaktive Auseinandersetzung mit Notsituationen, die eine längere Verweildauer auf Eis bzw. an Land (einschließlich der daraus resultierenden Teamdynamiken) verlangen, da eine Rettung binnen weniger Stunden in den hohen Breiten keineswegs garantiert werden kann. Der effektive und situationsangepasste Umgang mit der an Bord verfügbaren Notfallausrüstung wird dabei zur Überlebensvoraussetzung von Schiffscrew und mitfahrenden Passagieren.

Praxistraining auf Spitzbergen

Auf Basis dieser Polar Code Vorschriften fand im Mai 2019 mit einem gemischten Team des deutschen Polarforschungs- und Versorgungsschiffes „Polarstern“ und Mitgliedern des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ein 1-wöchiger POLARCODE-Trainings Kurs „Umgang mit Überlebensszenarien in arktischen Regionen“ in Spitzbergen statt. Dieser folgte den verpflichten Vorgaben des Polar Codes unter Einbeziehung des MOSAIC Experiments des AWI, bei dem sich bis zu 600 Personen aus 17 Nationen 365 Tage im Eis des Nordpolarmeers einfrieren lassen werden – der Kurs wurde konzipiert und geleitet durch die Alpine Welten Die Bergführer GmbH & Co. KG, einem international erfahrenen deutschen Anbieter von Bergtouren und Expeditionen, mit langjähriger Führungskompetenz in arktischen Regionen sowie im Expeditionsbereich (z. B. Antarktis, Spitzbergen, Grönland, etc.) Alpine Welten bildet u. a. auch „Überwinterer“ und Polarforscher für den Einsatz in der Antarktis aus und besitzt ein fundiertes Know-how in der Konzeption von Spezialkursen. Das 3-köpfige Ausbilderteam bestand aus Bergführern mit Zusatzqualifikationen als Expeditionsleiter, als Teamentwickler und Coach sowie im notfallmedizinischen Bereich. Zudem waren alle Trainer militärisch ausgebildete Internationale Rettungsspezialisten, d. h. zur Leitung und Durchführung von Rettungsoperationen im schwierigen Gelände befähigt. Der Anbieter begleitet ebenfalls mit Personal die MOSAIC Expedition des AWI.

 

Konzeption

Der Polar Code Trainings-Lehrgang setzt in der aktuellen Konzeption und Durchführung Maßstäbe, da es kaum internationale und auf deutscher Seite keinerlei Erfahrungswerte gibt (Anm. d. Verf.: mit Ausnahme von 3 SARex-Übungen der Norwegischen Küstenwache) und auch die aktuelle Anbieterstruktur rein auf den maritimen Bereich fokussiert ist. Der Ablauf folgte einem modulartigen Aufbau, so dass auf eine Basisausbildung (thematische Sensibilisierung, Schießausbildung, Kaltwassertraining, Umgang mit der vorhandenen Überlebensausrüstung, Organisation und Teamszenarien, Führung in Extremsituation etc.) eine freilaufende, realitätsnahe 64-Stunden-Übung folgte. In dieser mussten die Teilnehmer das Schiff  an der Küste Spitzbergens aufgrund eines simulierten Brandes mit einer Rettungsinsel verlassen und sich anschließend in einem abgelegenen Fjord an Land mit der vorhandenen SOLAS / POLARCODE-Ausrüstung einem Überlebensszenario stellen.

Vor Ort

Starker Nordwestwind, tiefe Temperaturen bis zu minus 25 Grad, Umgang mit Packeis und eine permanent bestehende Gefahr vor Polarbären trugen zu einem lehrreichen Szenario – weit abgelegen von der nächsten menschlichen Siedlung – bei und führten Schiffscrew, Forscher und das Material unweigerlich an ihre Grenzen. Dabei war das Hierarchie und Funktionen übergreifende zusammengesetzte Team mit 24 Stunden Helligkeit, wenig Schlaf, Monotonie, unterschiedlichsten Teamdynamiken, Notfallszenarien und vor allem mit der konsequenten Führung und Organisation des Teams bei bestehender Polarbärengefahr konfrontiert.

Lessons Learned

Begrenzungen bzw. eine teils unzweckmäßige Zusammenstellung zeigten sich auch in der vor Ort getesteten Überlebensausrüstung (Windschutz, Schwitzwasser, Wärme- und Energieerhalt, Organisation von Ruhephasen etc.), so dass im nachfolgenden Lessons-learned konsequent notwendige Ableitungen für den Notfall und Ergänzungen der vorgeschriebenen SOLAS / POLARCODE Ausstattung  getroffen werden konnten. Gleichzeitig wurde vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen ein Phasen und Checklisten basiertes Handbuch für den Einsatz in polaren Gewässern erarbeitet und das „Crew training Manual“ auf den Stand des Polar Codes gebracht. Das Manual bildet eine zentrale Grundlage und Handlungsempfehlung für den eigenen Umgang mit derartigen Szenarien.

Teilnehmerstimmen

„Ich fahre nun schon mehrjährig zur See, aber dies war einer der wertvollsten Lehrgänge, die ich jemals absolviert habe“, äußerte sich einer der Lehrgangsteilnehmer nachfolgend. Grenzen aufzeigend, komplex, wertvoll, ungewohnt, kalt und kameradschaftlich waren nur einige der Rückmeldungen, die als Feedback durch die Teilnehmer geäußert wurden. Die Abgeschiedenheit und Naturgewalt Spitzbergens tat hierbei ihr übriges und hätte für das Übungsszenario nicht besser sein können. Dennoch konnte man die Erleichterung manchem Teilnehmer direkt ansehen, als der SAR-Hubschrauber vom Typ AS 332 „Super Puma“ diese nach 64 Stunden in einem letzten Ausbildungsabschnitt aufwinschte und ausflog. Mit einer Vielzahl an Eindrücken und einem Mehr an Handlungssicherheit im eigenen Bordalltag wurde die Polarstern Crew entlassen.

 

Eine weitere Lehrgangsdurchführung ist für den Juli 2019 und Herbst 2020 geplant.

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